PLASTIK STATT BARGELD FÜR FLÜCHTLINGE: DIE STADT SIEGEN WILL SICH EINER NRW-LÖSUNG ANSCHLIESSEN UND KEINE EIGENEN MODELLE ENTWICKELN.
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Die Diskussion um bargeldlose Versorgung von Flüchtlingen kommt in der Region an. Zuständig für die Ausgabe sind die Kommunen. Die Kritik am Projekt ist absehbar
Siegener Zeitung – DIENSTAG 13. FEBRUAR 2024
Was bringt die Bezahlcard für Flüchtlinge?
Die Diskussion um bargeldlose Versorgung von Flüchtlingen kommt in der Region an. Zuständig für die Ausgabe sind die Kommunen. Die Kritik am Projekt ist absehbar
Von Raimund Hellwig
SIEGEN. Hannover hat sie eingeführt, der Ortenaukreis ebenso und der Landkreis Greiz meldet bereits, dass einige Flüchtlinge den Kreis verlassen haben, nachdem die Bezahlkarte für Flüchtlinge dort Standard wurde. Nachdem sich Ende Januar auch die Bundesländer und der Bund geeinigt haben, geht die Diskussion erst richtig los, doch der eigentliche Effekt könnte möglicherweise nur schwer erreicht werden.
Zuletzt wollte die Kreistagsfraktion „Wir Bürger“ wissen, ob auch der Kreis Siegen-Wittgenstein die Geldkarte für Flüchtlinge einsetzen wird. Zuständig sind jedoch die Kommunen.
Die Gründe für die Umstellung der Geldleistungen auf Karten sind vielfältig. Immer wieder genannt wird die Vereinfachung des Auszahlungsverfahrens in den Ämtern; vermieden werden soll auch, dass Flüchtlinge einen Teil des Geldes in ihre Heimatländer überweisen.
Alleinstehende Flüchtlinge haben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Anspruch auf 460 Euro für den persönlichen Bedarf, bei Familien sind die Sätze entsprechend anders. Ein Teil dieser Leistung kann schon jetzt auch in Sachleistungen ausgezahlt werden. Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften bekommen in der Regel noch weniger Geld. Ausgezahlt werden zwischen 100 und 200 Euro als Taschengeld.
Inzwischen gibt es bereits Anbieter, die in Sachen Geldkarten mit den Kommunen kooperieren. Die Unternehmen wollen gezielt den Markt der Digitalisierung von Sozialleistungen bedienen und erschließen sich jetzt ein neues Tätigkeitsfeld.
Ob alle Ziele erreicht werden, ist dagegen eher fraglich. Der Verwaltungsaufwand bei der Auszahlung von Bargeld und dem beim Aufladen der Geldkarte ist, abgesehen von notwendigen Sicherheitsvorkehrungen, vergleichbar. Ob man Flüchtlinge auf diesem Weg daran hindert, Sachleistungen in Geld umzuwandeln, ist allerdings fraglich. Geldflüsse aus Deutschland sind für die Familien vieler Flüchtlinge oft unverzichtbar, viele Flüchtlinge sparen sich jeden Cent vom Munde ab, um Geld in ihre Heimat zu überweisen. Die Kartenlösung könnte auch leicht umgangen werden.
Migranten überweisen alljährlich Milliarden Euro in ihre Heimatländer, um dort ihre Familien zu unterstützen. Die Bundesbank hat für 2022 einen Betrag von 6 Milliarden Euro ermittelt. Größte Empfängerländer sind Polen (557 Millionen), Rumänien (659 Millionen) und Italien mit 395 Millionen Euro. Die deutschen Türken überwiesen 2022 848 Millionen Euro. Die klassischen Flüchtlingsherkunftsländer Syrien (407 Millionen), Irak (120 Millionen) und Afghanistan (162 Millionen Euro) profitieren ebenfalls erheblich. Tatsächlich sind viele Familien von Migranten auf die Überweisungen aus Deutschland angewiesen. 360 Millionen Euro flossen aus Deutschland in die Ukraine.
Eine afrikanische Migrantin schildert ihre Situation so: „Ich unterstütze meine Eltern, ohne meine Überweisungen können meine Brüder nicht weiter studieren.“ Sie brach ihre Schulausbildung ab, um eine Stelle zu suchen. Kein Einzelfall: Die Zahlen der Bundesbank weisen für alle großen Empfängerländer steigende Tendenz auf. Dies entspricht der zunehmenden Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt.
Nicht arbeitsberechtigte Flüchtlinge – die Zielgruppe für die Bezahlcard – überweisen ebenfalls oft, wenn auch nicht so viel wie arbeitende Migranten.
Die Bezahlcard dürfte daran nicht viel ändern. „Dann kaufe ich eben Tabak oder Alkohol mit der Card“, sagt ein Flüchtling aus einer Unterkunft, „verkaufe die Ware weiter und kann dann trotzdem Geld an die Familie schicken.“ Die Familie hatte für die Finanzierung der Flucht zusammengelegt und ist auf die Unterstützung aus Deutschland angewiesen.
Der Verein für Soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS) berät seit vielen Jahren Flüchtlinge in der Region. Geschäftsführer Michael Groß ist skeptisch, was die Sinnhaftigkeit angeht: „Mündig machen und integrieren ist das Ziel, und dann schafft man eine Sonderregel nach der anderen.
Das können wir ohne eine wirklich harte Begründung so nicht gutheißen“.
Letztlich führe man solche Dinge dann ein, wenn man Missbrauch unterstelle. „Aber da kann man nicht die ganze Gruppe in Haftung nehmen“, so Groß.
Die Stadt Siegen will sich einer NRW-Lösung anschließen und keine eigenen Modelle entwickeln, erläutert Sozialdezernent Andree Schmidt auf Anfrage. Der NRW-Städtetag hat sich inzwischen für eine flächendeckende, verbindliche Einführung in NRW ausgesprochen. Bis Sommer soll die Karte kommen – leicht, preiswert und ohne großen Verwaltungsaufwand zu handhaben. Immerhin kosten die Geldkarten nicht allzu viel: pro Stück zwischen 3 und 6 Euro, für eine Aufladung der Karte wird 1 Euro fällig.
„Man kann nicht eine ganze Gruppe in Gesamthaftung nehmen“.
Michael Groß
Geschäftsführer des VAKS